Zermatt: Das Festival wird zum Musikfest

Eine reizvolle Kombination für interessant konzipierte Konzertprogramme: Christiane Karg, David Philip Hefti und das Scharoun-Ensemble gaben beim Zermatt Festival den Ton an.

Schubert-Schlussakkord © Olivier Maire

Man hat Mut beim Zermatt Festival: Ein Stück wie die «Metamorphosen» von Richard Strauss aufs Programm zu setzen, käme wohl nicht jedem Veranstalter in den Sinn. 23 Streicher spielen Kammermusik, jeder hat seine eigene Stimme in ständig wechselnden Allianzen, durch die Strauss ein einziges Thema in immer wieder neuer Gestalt und klanglicher Balance aufscheinen lässt. Vor dem Hintergrund seiner Kriegs-zerstörten Heimatstadt München beschwört der gereifte Komponist noch einmal seine ganze Meisterschaft in spätromantischer Harmonik und zeigt am Ende mit dem Zitat aus Beethovens «Eroica»-Trauermarsch nicht nur seine Betroffenheit, sondern offenbart den Ursprung seines «Metamorphosen»-Themas und auch die Quelle der Inspiration seiner späten Jahre.

Die Streicher des Scharoun-Ensembles der Berliner Philharmoniker, das seit bald 20 Jahren beim Zermatt Festival den harten Kern und das künstlerische Gewissen bildet und in der Academy die jungen Talente unterrichtet, wagten zusammen mit ihren Studenten dieses herausragende Beispiel an struktureller und formaler Meisterschaft. Rein technisch sind diese Linien keine Hexerei, die Schwierigkeiten liegen darin, die Spannung über die 35 Minuten reinen Streicherklangs aufrechtzuerhalten und im dichten Geflecht der mäandrierenden Stimmen ständig bewusst die strukturellen und klanglichen Balancen auszutarieren. Der Mut wurde belohnt: In der Zermatter Dorfkirche gelang eine intensive und spannungsgeladene Interpretation dieses berührenden Abgesangs auf eine endgültig zusammengebrochene Welt. Die begleitet wurde von weiteren sehr gelungenen Auftritten am zweiten Festival-Wochenende in Zermatt.

Christiane Karg und David Philip Hefti © Olivier Maire

Neben dem Scharoun-Ensemble und den Studenten der Academy prägten zwei herausragende Musikerpersönlichkeiten die Konzerte: Die deutsche Sopranistin Christiane Karg und der Schweizer Komponist und Dirigent David Philip Hefti. Der hatte sogar ein brandneues Werk im Gepäck, das er im Auftrag des Festivals dem Scharoun-Ensemble zu seinem 40. Geburtstag auf dein Leib geschrieben hatte. Die Besetzung also entspricht jener klassischen dieses Ensembles, das sich an Schuberts Oktett anlehnt, also Klarinette, Horn, Fagott, Kontrabass und Streichquartett. Auf Schuberts Meisterwerk rekurriert denn auch das neue Oktett von Hefti mit dem Titel «Des Zaubers Spuren». Man kann zwar in den Kantilenen, die Hefti zwischen den oft heftigen Attacken und den ausgefeilten Klangfarben-Kombinationen zwischendurch auch zulässt, manchmal die melodische Gestik Schuberts ein wenig erahnen. Direkte Zitate aber unterlässt der Komponist, eher subkutan ist Schuberts «magische» Kunst in dieses neue Werk eingeflossen.

Schubert gab es dann doch noch: Hefti dirigierte die vierte Sinfonie an der Spitze des Zermatter Festival-Orchesters, und er begleitete auch Christiane Karg in den sieben «frühen Liedern» von Alban Berg in einer Bearbeitung von Reinbert de Leeuw, die in ihrer Besetzung angelehnt ist an den Privat-Konzerten des Schönberg-Kreises in Wien, was vor allem die heute exotische Klangfarbe des Harmoniums einschliesst. Die deutsche Sopranistin bewies nicht nur einen aussergewöhnlichen Reichtum an stimmlichen Ausdrucksmitteln, sondern auch eine überaus vorbildliche Diktion, die diese noch in der Romantik verwurzelten Lieder zu emotionalen Miniaturen werden liessen.

Mahler in der Riffelalp-Kapelle © Olivier Maire

Tags darauf im wundervollen Zyklus «Les nuits d’été» von Berlioz zog Christiane Karg erneut alle Register ihrer vielseitigen Stimme. Und in der kleinen Kapelle auf der Riffelalp auf 2200 Metern Höhe auf dem Weg zum Gornergrat, präsentierte die Sängerin wiederum mit einem beeindruckenden Repertoire an Farben, Sprachnuancen und emotionalen Schattierungen die fünf Rückert-Lieder von Gustav Mahler, die Hefti für Streichquartett neu instrumentiert hat. Die Scharoun-Streicher – nachdem die Kollegen zuvor mit einer burschikos-frischen Variante des Beethoven Bläseroktetts brilliert hatten – übernahmen selbst die Aufgabe, diese neuen Klangfarben für Mahlers bekannte Harmonien auszuführen, für die Hefti virtuos sämtliche streicherischen Spiel-Möglichkeiten auslotet.

Sie standen im Wechsel mit Heftis sechstem Streichquartett, das den Untertitel «Fünf Szenen für Gustav» trägt und dessen fünf Sätze auf die Rückert-Lieder reagieren und sie mit den klanglichen Möglichkeiten von heute kommentieren. Eine sehr reizvolle Gegenüberstellung von Mahlers hochromantischen Innenwelten mit der Musiksprache einer gemässigten Avantgarde, die es versteht, formale Ideen kunstvoll mit Klangfarben zu verbinden und so Mahlers Emotionalität eine nicht minder nachvollziehbare und berührende Gefühls- und Gedankenwelt an die Seite zu stellen.

Reinmar Wagner

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