Rameau im Klangfarben-Rausch
Man spielte im Konzertsaal Solothurn zwar statt unter freiem Himmel im Schlosshof Waldegg neben dem Froschteich. Aber auch drinnen fehlte dieser «Platée» überhaupt nichts.

ist eine wahre Farbenpracht. Auch auf der Bühne, gerade im ersten Akt, wo Platées Sumpf-Welt überaus bunt erscheint, vor allem aber für die Ohren: Das gross besetzte Barockorchester «cantus firmus consort» brillierte mit virtuosen Linien und solidem Continuo-Fundament, entfaltete einen wahren Rausch an Klangfarben, ein Feuerwerk an Verzierungs-Nuancen, dank denen Rameaus Tonsprache erst so richtig ihren vollen Reiz entfaltet. Ganze Kaskaden an Trillern, Glissandi und Vorhalt-Bildungen gaben jeder Phrase ihr besonderes Profil, und der Dirigent Andreas Reize spornte seine Musiker immer weiter an zu agilem, funkensprühendem Spiel und formte die zahlreichen Barocktänze virtuos und vielfältig zu rhythmisch prägnanten Charakterstücken.
Und dasselbe darf man von den Solisten und dem Chor sagen: Da blieben wirklich in keinem Moment Wünsche offen, jede Arie erhielt ihren passenden Affekt und lebendigen Drive. Toll war die Titelpartie vom französischen hohen Tenor Sebastian Monti, der mit weitem Atem und potenter Stimme sang, aber stets vielseitig blieb und mit grossem Einsatz ganz verschiedener stimmlicher und sprachlicher Mittel brillierte. Eine Glanzpartie zeigte auch Marion Grange in der Rolle der Allegorie des Wahnsinns «La Folie», mit der Rameau im zweiten Akt noch einmal eine völlig verrückte Figur ins Stück bringt. Sie übernimmt resolut das Szepter – und auch das Dirigentenpodium – und liefert vokale Glanznummern à discrétion.
Aber niemand unter den neun Solisten in diesem Ensemble musste sich verstecken. Da war zum Beispiel der sehr schöne, helle Tenor von Raphael Wittmer in der Rolle des Götterboten Merkur. Oder eine sehr schön von Pia Davila als Platées Gefährtin Clarine gesungene ruhige Arie, begleitet nur von Oboe und Fagott.
Eine Tänzerin und ein Tänzer führen das Ensemble an, denn mittanzen müssen sie alle. Und einmal choreographiert Chantal Sieber virtuos den Esel, in den sich der Metamorphosen-freudige Jupiter verwandelt. Zwei Podeste bieten Raum für die grösseren Auftritte, eine kleine Bar ist Platées Reich. Sie hat die Züge einer Drag Queen, ohne dass die Regie diese Zeichnung allzu demonstrativ ausweiten würde. Das lustvoll und engagiert spielende Ensemble findet problemlos stets von neuem zu witzigen, bisweilen überbordend skurrilen Szenen.
Viel mehr braucht es nicht: Man nutzt die Emporen im Konzertsaal und den Zuschauerraum, und man kann sich sehr gut vorstellen, wie das alles im Schlosshof von Waldegg neben dem Froschteil auch sehr gut passen würde. Selina Girschweiler, die Regisseurin, zeichnet die Figuren nicht als barocke Hofgesellschaft, sondern trotz ihrer den barocken Perücken nachempfundenen skurrilen Frisuren als Typen von heute: Cithéron als wahlkämpfenden Politiker, Jupiter als selbstverliebten Halbstarken, Platée weniger als ein Frosch mit Hybris, wir das auch schon gesehen haben, sondern als eine Aussenseiterin, der von einer ignorant-bösartigen festsüchtigen Gesellschaft übel mitgespielt wird.
Die Regisseurin hat das Profil dieser Rolle stark geschärft. Und am Schluss greift sie konsequenterweise in die Geschichte ein: Die eifersüchtige Juno, für die dieses bösartige Spektakel inszeniert wird, findet es überhaupt nicht lustig und solidarisiert sich mit Platée und ihrer geschundenen Entourage. Ein sympathisches Happy End ein bisschen anders als es Rameau und sein Librettist Adrien-Joseph Le Valois d’Orville es vorgesehen hatten.
Reinmar Wagner
noch bis 12. August