Keinen Staub angesetzt
Die Thunerseespiele feiern ihr 20jähriges Jubiläum und frischen dafür ihre erste Eigenproduktion «Dällebach Kari» auf.

Die Verbeugung muss sein: Mit Mani Matters Lied «S’isch einisch eine gsy…» beginnt das Musical über das Berner Stadt-Original Dällebach Kari. Der Film von Kurt Früh 1970 hatte es auch nicht besser gekonnt. Und es bleibt nicht die einzige Hommage an die Kulturgeschichte: Der «Berner Marsch» hat ebenso seinen würdigen Auftritt wie das «Guggisberg-Lied» – dieses allerdings etwas quer in der musikalischen Landschaft, denn die Komponisten hatten sich doch gerade zaghaft zugetraut eine eigenständige Variante eines Hochzeitsmarsches zu entwerfen, und das volkstümliche Lied in Moll passt eher schlecht in die Umgebung der stolzen Bern-Burger-Familie von Karis Liebe Annemaire Geiser.
Kari hat auch ein Lieblingslied: «Wie die Blümlein draussen zittern», das er gemäss Testament auch auf seiner Beerdigung gesungen haben wollte. Natürlich spielt auch diese Melodie eine Hauptrolle im musikalischen Gewand über das Berner Stadt-Original. Was die Thunerseespiele im Jahr 2010 mit dem ersten selbst-produzierten Musical auf die Bühne stellten, begeisterte nicht nur damals die Menschen, sondern hat auch 13 Jahr später nichts von seiner emotionalen Dichte verloren. Die traurige Geschichte des Coiffeurmeisters mit der Hasenscharte und der Gabe zum treffenden Spruch in jeder Lebenslage lässt sich auch 2023 genauso frisch erzählen wie am Anfang ihres Siegeszugs, der in Aufführungen in Zürich und Bern eine schöne Abrundung fand und zudem mit dem «Prix Walo» ausgezeichnet wurde.
Man hat in diesem Musical dem Berner Original eine würdige Hommage erwiesen. Man hat ihn nicht verbogen, man hat ihn nicht zurecht gestutzt, man hat es geschafft, ihm und seinen Witzen und Sprüchen – noch mehr aber seinen emotionalen Achterbahnfahrten – gerecht zu werden und mit sehr viel Sorgfalt, aber noch mehr mit Erfahrung, Wissen und Know-How eine zutiefst sympathische Figur zum Helden eines Musicals zu machen.
Ein Kunstgriff funktioniert dabei besonders gut: Den Verführer «Alkohol» als Bösewicht und Agitator zu personifizieren. Frank Logemann macht auch diesmal eine Glanzrolle daraus. Darüber hinaus überzeugt die aktuelle Inszenierung von Simon Eichenberger darin, aus dem eigentlich sehr un-glamourösen Leben des Kari, Musical-taugliche Szenen zu generieren. Rolf Sommer in der Titelrolle und Irena Flury als die – erst fernere, dann nähere – Geliebte überzeugen in ihren Partien, ebenso wie das ganz Ensemble. Iwan Wassilevski dirigierte schon die Uraufführung, er ist mit seiner grossen Erfahrung auch diesmal wieder ein souveräner Leiter. Die Tontechnik liess die Singstimmen in den Songs noch etliche Male etwas im Schatten stehen, womit die Verständlichkeit der Texte bisweilen etwas litt. Das wird sich einpendeln lassen.
Die Thunerseespiele gibt es seit 2003, sie feiren also ihren 20. Geburtstag. Und sie haben dafür einen Meilenstein aus der eigenen Geschichte erneut auf die Bühne gebracht: Die Eigenproduktion ihres ersten Musicals 2010, das dem Berner Original Dällebach Kari gewidmet war. Der Choreograph von damals, Simon Eichenberger, ist bei der Neuproduktion auch der Regisseur und schafft es so, gleichermassen Kontinuität zu wahren und die Optik ein wenig aufzufrischen. Am Stück selbst wurde nichts geändert. Die Musik von Moritz Schneider und Robin Hoffmann in den Arrangements von Michael Reed bleibt ebenso bestehen wie das Buch von Katja Früh und die Liedertexte von Wolfgang Hofer.
Reinmar Wagner
Schneider/Hoffmann/Früh: «Dällebach Kari». Thunerseespiele 2023. Vorstellungen bis 26. August. ML: Iwan Wassilevski, R: Simon Eichenberger, mit Rolf Sommer, Irena Flury, Frank Logemann, Lukas Hobi u.a.