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Die Bienenkönigin und ihre Terracotta-Armee

Sebastian Baumgarten zeigt Puccinis «Turandot» am Opernhaus Zürich als bunt assoziierte Fantasie-Bilderwelt. Die Rollendebütanten schlagen sich unterschiedlich: Sondra Radvanovsky in der Titelrolle und Piotr Beczala als Calaf lassen Wünsche offen, Rosa Feola als Liù und der Dirigent Marc Albrecht brillieren.

© Monika Rittershaus

Giacomo Puccini starb im November 1924 während der Behandlung seines Kehlkopfkrebses in Brüssel. Seine letzte Oper – «Turandot» – blieb unvollendet. Vom Finale mit dem dramaturgisch schwierig zu bewerkstelligenden Sieg der Liebe existierten neben dem Libretto nur wenig Skizzen, Ideen und Entwürfe. Zwar hat der italienische Komponist Franco Alfano dieses Finale nachkomponiert, und die Oper wird meistens in dieser vervollständigten Fassung gespielt. Aber Puccini hat in den vier Jahren seiner Arbeit an «Turandot» immer wieder mit diesem Schluss gerungen, und die platt-heroische Musik, in die Alfano ihn kleidet wirkt nur wenig überzeugend.

Marc Albrecht entschloss sich deshalb, für seine Zürcher Produktion den Torso stehen zu lassen. So endet die Oper mit dem Tod Liùs und dem folgenden Trauerzug. Und eine grosse Schrifttafel verkündet, dass dies die letzten Noten aus Puccinis eigener Hand gewesen seien. Es ist ein würdiger Schluss, denn musikalisch zeigt Puccini mit dem Tod der Lichtgestalt noch einmal eine seiner grossen emotionalen Szenen.

Und Puccinis Partitur wird unter den Händen dieses Dirigenten auch in ein denkbar gutes Licht gerückt. Albrecht schält die Vielseitigkeit gekonnt heraus, zeigt immer wieder, dass Puccini auch moderne Elemente in seine Musik integrieren konnte, hält die Tempi straff, spielt die klanglichen Schärfen bezwingend aus, ist sehr zurückhaltend im Auskosten der grossen Operngesten, die es natürlich auch in diesem Puccini gibt. Vor allem der Chor darf ein paarmal mit nun wirklich voller Kehle singen, was er gut hinkriegt ohne Homogenität und Klangschönheit ganz vergessen zu lassen.

Auch sonst wird es immer wieder ganz schön laut. Eher nicht wegen Albrecht, sondern den Sängern: Piotr Beczala singt seinen ersten Calaf, und schlägt sich achtbar. Abgesehen von einem misslungenen Spitzenton gestaltet er umsichtig, wenn auch immer wieder etwas unnötig laut. Seine grosse Arie «Nessun dorma» reichert er mit manchem liebevoll gestaltetem sängerischem Detail an und verkneift sich (noch?) die tenorale Kraftprotzerei in den ausgehaltenen Schlusstönen.

© Monika Rittershaus

Auch die Turandot der amerikanischen Sopranistin Sondra Radvanovsky ist ein Rollendebüt. Sie beginnt mit schneidender Schärfe ihre Arie, was zur eiskalten Prinzessin natürlich sehr gut passt. Mit der Zeit aber wird klar, dass sie ausser dieser sehr lauten messerscharfen Trompete kaum andere Farben ins Feld führen kann.

Dass es auch anders geht, bewies Rosa Feola als Liù: Nicht einfach nur immer laut, auch wenn sie das durchaus zwischendurch auch kann, intelligent und umsichtig gestaltet sie die unscheinbare Dienerin, die zu grossem dramatischem Format aufläuft. Und Marc Albrecht lässt sich nicht bitten: Wo er die anderen beiden mit vollem Orchestersound begleitet, hält er die Musiker hier – und etwa auch in den Trios der lustigen Minister Ping, Pang, Pong – zur Zurückhaltung an.

In Sebastian Baumgartens Inszenierung versammeln sich ganze Sammelsurien an Ideen. Noch vor dem ersten Akkord lässt er von seiner achtköpfigen Performer-Truppe den Chor wie eine Terracotta-Armee aufstellen, die eiskalte Prinzessin Turandot ist eine veritable Bienenkönigin, gigantische Roboterhände verrichten ungeahnte Tätigkeiten, die Minister regieren in einem Streichholz-Häuschen, der chinesische Kaiserthron ist eine ulkige Raumschiff-Maschine, der Henker ein Gnom mit Hackebeil, und wenn es nicht mehr anders geht, senken sich Tafeln mit erklärenden Schriftzeilen.

Der Chor wird praktisch ständig in Bewegung gehalten, die Performer, die auch akrobatisch die Rollen des Henkers und des unglücklichen persischen Prinzen – Turandots Opfer Nr. 13 in diesem Jahr – übernehmen sorgen permanent für zusätzliche Aktionen. Bühnentechnik, Video-Filme, Bilder aus dem Ersten Weltkrieg werden übereinander montiert, ohne sich allerdings in irgendeiner Weise zu klärenden oder auch nur kommentierenden Aussagen zu verdichten. Baumgarten vermeidet jeden Kommentar zu einem real existierenden China. Lieber hält er die Massen in Bewegung und zelebriert seinen optischen Horror vacui als frei assoziierten fantastischen Bilderbogen.

Reinmar Wagner

Puccini: «Turandot». Opernhaus Zürich, Premiere: 18. Juni 2023. ML: Marc Albrecht, R: Sebastian Baumgarten, mit Sondra Radvanovsky, Piotr Beczala, Rosa Feola, Martin Zysset, Nicola Ulivieri, Xiaomeng Zhang, Iain Milne, Nathan Haller u.a.

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