Game of Thrones für Fortgeschrittene

2018 wurde in London George Benjamins Oper «Lessons in Love and Violence» uraufgeführt. Das Opernhaus Zürich stellte das Stück nun zum zweiten Mal zur Diskussion.

Echte Leidenschaft, fiese Machtspiele © Herwig Prammer

Ein Bett, nichts als ein Bett. Das macht Sinn in diesem Stück aus der Shakespeare-Zeit um Macht, Liebe und Gewalt. Denn in diesem Bett finden wir Edward II, den König von England, und seinen Geliebten Gaveston. Nicht dass es zwei Männer sind, die sich hier leidenschaftlich lieben, ist das Problem. Sondern, dass der König sich von der Aussenwelt, die leidet und hungert, vollkommen abgekoppelt hat, nur seiner Leidenschaft, seiner Liebe zu Musik und Schönheit verfallen ist, und das Land damit in den Ruin steuert. Für seine wahnhafte Weltflucht steht das Bühnenbild aus psychedelisch verzerrten Floskeln aus Architektur und Tapisserie.

Mortimer, sein Berater, versucht den König zur Vernunft zu bringen. Er sieht aus wie ein Buchhalter, aber entpuppt sich bald als eiskalt rationaler Strippenzieher – der sich am Ende im Gespinst seiner Einfluss-Fäden selbst verheddert. Im Grunde will er Macht – und er will die Königin. Die ist nicht abgeneigt, aber sie hegt ganz offensichtlich auch noch tiefere Gefühle für den König, trotz seiner Affäre mit Gaveston.

Der ist die psychologisch einfachste Figur: Er geniesst seinen Einfluss, gefällt sich als grausamer Sadist und lässt keine Gelegenheit aus, im Schutz des Königs und auf seine Kosten über die Stränge zu schlagen. Die Inszenierung des kasachischen Regisseurs Evgeny Titov arbeitet das sehr deutlich heraus, und Björn Bürger spielt es hervorragend. Er ist die Inkarnation männlicher Laszivität, und er hat den Körper dazu. Zudem singt der deutsche Bariton auch ausgesprochen viril.

Sogar einen kleinen ariosen Moment gewährt im George Benjamin. Das ist selten in dieser Oper. Meistens bewegen sich die Singstimmen in einem emotional aufgeladenen Parlando ohne grössere sängerische Virtuosen-Attitüden wie Sprünge, extreme Lagen oder Koloraturen. Zudem begleitet Benjamin zwar sehr facettenreich und mit einer Fülle an detaillierten Einfällen, lässt das Orchester aber nur dann mächtig aufrauschen, wenn niemand gerade zu singen hat. Kann sein dass nur ein einsames Horn eine Phrase begleitet oder eine Kastagnette für rhythmische Energie sorgt. Der israelische Dirigent Ilan Volkov hat dieses Geschehen jederzeit souverän im Griff, mit viel Sinn für die schillernden Klangflächen und orchestralen Farben, die Benjamin erfunden hat.

© Herwig Prammer

In den Zwischenspielen zwischen den sieben Szenen aber erhält die Partitur sinfonische Dimensionen und das Tutti kann sich in wuchtigen Klangballungen entladen. Oder auch in kammermusikalisch zarte Linien münden. Es ist, als ob wir uns in einer grossen Geschichte befinden würden, von deren Protagonisten, ihren Gefühlen und Leidenschaften die Musik andauernd erzählt, wir aber nur hin und wieder, wenn der Vorhang sich hebt, einen Blick auf das Geschehen erhaschen und alles Weitere entweder vom Orchester erzählt wird oder in unserer Vorstellung abläuft.

Entsprechend inszeniert auch Titov das Stück: Jede Szene erhält ihren konkreten Raum und die realistisch agierenden Figuren, die mit körperlich intensiver Direktheit ihre Emotionen zum Ausdruck bringen. Das gelingt sämtlichen Darstellern ausgesprochen gut. Und auch sängerisch vermögen sie alle zu überzeugen: Der König von Ivan Ludlow ist grossartig sowohl als liebender Schöngeist wie als machtlos aufbegehrender Wütender, Mark Milhofer zeigt die unterschwellige Gefährlichkeit des Mortimer mit kalkulierter stimmlicher Autorität. Ein besonderer Lichtblick ist die Königin, welche die Sopranistin Jeanine De Bique aus Trinidad sehr glaubwürdig mit zahlreichen widersprüchlichen Emotionen ausstaffiert. Und der überaus helle, strahlend reine hohe Tenor von Sunnyboy Dladla gibt dem Königssohn den passenden naiven Habitus.

Mit ihm haben sich die Strippenzieher aber gründlich verrechnet: Sie fragen ihn gönnerhaft, was für einen Hund er denn gerne haben möchte, er aber lässt – kaum auf dem Thron – den Tod seines Vaters grausam rächen und präsentiert seiner Mutter den gefolterten Mortimer, bevor er sich mit seiner Schwester ins Bett legt – die sich in der allerletzten Szene als Mann entpuppt…

Reinmar Wagner

George Benjamin: «Lessons in Love and Violence». ML: Ilan Volkov, R: Evgeny Titov, mit Ivan Ludlow, Jeanine De Bique, Björn Bürger, Mark Milhofer, Sunnyboy Dladla u.a.

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