Anklage gegen jede Aggression
Die Martinu-Festtage in Basel stellen dieses Jahr den tschechischen Komponisten Miloslav Kabelác in den Mittelpunkt. Beim Eröffnungskonzert in der Pauluskirche erklang seine achte Sinfonie – ein flammender Protest gegen Aggression und Gewalt. Kabelác schrieb sie als Reaktion auf den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei 1968. Angesichts von Putins Angriff auf die Ukraine ist sie aktueller denn je.

Kein Zweifel, er wollte laut sein, Miloslav Kabelác, als die Panzer des Warschauer-Pakts seine Heimat überrollten und dem kurzen Tauwetter des «Prager Frühling» ein Ende machten. «Mene Tekel» schrie er mit seiner achten Sinfonie in die Welt hinaus, zitierte weitere Worte aus der Bibel und auch das gregorianische «Dies irae». Wer im überaus ruhigen vierten Satz Zeichen der Versöhnung und der Hoffnung zu hören glaubt, wird im Finale nur noch brutaler auf den Boden der Realität zurück geworfen.
Diese Sinfonie, die kein Orchester kennt, sondern nur riesiges Schlagzeug, Orgel, grossen Chor und einen Koloratursopran, ist eine Anklage, eine Auflehnung gegen die Machenschaften der Mächtigen und ein fast schon Cassandra-hafter Ruf, dass nichts mehr gut und gerecht und menschenwürdig werden kann. Den Fall des Eisernen Vorhangs hat Kabelác nicht mehr erlebt: Er starb 1979, und seine achte Sinfonie ist sein letztes grosses vollendetes Werk.
Mit diesem Zeugnis startete das diesjährige Martinu-Festival nach zweijährigem Corona-Unterbruch. Für Robert Kolinsky, den Intendanten, kam angesichts des Angriffs Putins auf die Ukraine kaum etwas anderes in Frage: «Meine Eltern kamen 1968 aus Tschechien in die Schweiz, ich bin hier geboren. Der Verlust der Heimat, die Aggression der Russen, die Trauer und Zerrissenheit, der Verlust der Kontakte, das waren sehr stark prägende Emotionen in unserer Familie. Und mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind diese Gefühle bei mir selber wieder hoch gekommen. Das hat mir den Antrieb gegeben, diese Musik von Kabelác ins Programm zu nehmen, der sich immer sehr deutlich gewehrt hat, erst gegen die Nazis, dann gegen die Kommunisten und schliesslich gegen das von Russland eingesetzte Regime in Tschechien.»

© Benno Hunziker
Der Pianist Kolinsky kennt nicht nur das Werk Martinus bis in die feinsten Facetten, er hat sich in den letzten Jahren auch mit Kabelác intensiv beschäftigt und mit renommierten Kollegen wie dem Oboisten Albrecht Mayer, dem Cellisten Jan Vogler oder dem Hornisten Stefan Dohr das Kammermusik-Werk von Kabelác eingespielt. Die Box soll nächstes Jahr bei Capriccio erscheinen und eine ganze Serie von Einspielungen mit den Kompositionen Kabelács eröffnen, darunter auch den acht Sinfonien unter der Leitung von Jakub Hrusa.
Schlagzeug-Gewitter
In der Basler Pauluskirche hatten die «Percussions de Strasbourg» ihre umfangreiche Sammlung an Pauken, Gongs, Glocken, Xylo- und Marimbaphonen aufgebaut. Dass gerade sie diese Sinfonie spielen, macht umso mehr Sinn, als Kabelác für dieses Ensemble damals seine achte Sinfonie auch komponierte, und die Uraufführung 1971 in Strassburg stattfand – ohne Kabelác, der vom Regime keine Ausreisegenehmigung erhielt.
Beeindruckend die Schlagzeug-Gewitter, die die Strassburger Musiker entfesselten, nicht minder beeindruckend die Chöre, die sich aus dem Ukrainischen Rundfunkchor und der Zürcher Sing-Akademie bildeten. Über allen schwebte die Stimme der griechischen Sopranistin Aphrodite Patoulidou: Unglaublich wie sie sich mit ihrer klar fokussierten Stimme noch über dieses Getöse erheben konnte. Zusammen machen sie unter der Leitung von Manuel Nawri die achte Sinfonie von Kabelác zu einem singulären Ereignis. Ein eindrückliches Stück Musik, das mit seiner brachialen Kraft nachhaltig in Erinnerung bleibt.

© Benno Hunziker
Aber Kabelác konnte auch anders. Das zeigten im selben Konzert zwei reizvolle Orgel-Fantasien, die Sebastian Heindl mit viel Registrierungs-Phantasie auf der 1987 rekonstruierten Jugendstil-Orgel der Basler Pauluskirche spielte. Und Martinu selbst kam auch zum Zug in diesem Eröffnungskonzert zu seinem Festival. Und zwar mit einer Passionsspiel-artigen Kantate «Mount of three Lights», die in rekordverdächtigem Tempo von Weihnachten über Gethsemane und die Kreuzigung zum Auferstehungs-Triumph führt und diesen wiederum in einem fast schon volkstümlich heiteren Lied feiert. Die fröhliche Frömmigkeit dieses Schlusses findet man auch ganz besonders in den vier Marienliedern für Gemischten Chor, die Martinu 1934 komponierte. Auch hier brillierten die beiden Chöre unter der Leitung von Manuel Nawri mit intonationssicherer und homogener Klangkultur.
Reinmar Wagner