Der Klang von Tierherden im Tunnel

Seltsame Töne prägen am letzten August-Wochenende das Oberbaselbiet: Zum 33. Mal findet das Festival Neue Musik Rümlingen statt. 

© Festival Rümlingen

Ein «Fest der improvisierten Komposition» will man feiern bei diesem Festival der etwas anderen Art. Das klingt nicht nur auf den ersten Blick wie ein Widerspruch, es ist auch einer, der sich nicht auflösen lässt. Aber das kümmert die Macher rund um Tumasch Clalüna, den Geschäftsführer dieses seit nun 33 Jahren bestehenden Musikfestes, das jeden Sommer ein sehr treues Publikum in den Baselbieter Jura lockt, wenig. Die Provokation ist Programm in Rümlingen, nicht die heftige, brachiale, sondern eher die niederschwellig-subtile. Aber genau das können sie gut.

Was sie auch gut können: Raus gehen in die Landschaft, die durchaus auch mal eine Industrielandschaft sein kann. Meistens aber steht dann doch die Kraft der Natur im Zentrum der kürzeren oder längeren Musikspaziergänge, die zum Markenzeichen in Rümlingen geworden sind. «Jede Landschaft hat auch ohne Musik ihre ganz eigene Stimmung», sagt Sylwia Zytynska, die aus Polen stammende, seit vielen Jahren in Basel lebende Perkussionistin, die zusammen mit Andreas Eduardo Frank diesmal die künstlerische Leitung innehat. «Und manchmal ist die Stille allein schon voller Magie. Die Landschaft ist ausserordentlich abwechslungsreich, alle paar Schritte verändert sie sich: Wald oder Wiese, da ein Bauernhof, da eine Schlucht, da ein Felsen oder auch ein Golfplatz: Jede Ecke ist anders.»

In Rümlingen kann ein Konzert auch mal mitten in der Nacht oder am ganz frühen Morgen beginnen. Oder in einer Fabrikhalle stattfinden. Oder in einer Container-Wagenburg. Oder ganz einfach auf einer hübschen grünen Wiese irgendwo in der Juralandschaft. Ganz nach dem selbstgewählten Motto: «Aussergewöhnliche Musiker:innen und Klangkünstler:innen bringen ungewohnte Orte zum Klingen oder klingen ungewohnt an bekannten Orten.»

«Aller guten Dinge» heisst das Motto diesen Sommer, das man erst versteht, wenn man den Satz weiter denkt: «…sind drei». Zum 33. hat man sich auf zwei mal drei Trio-Formationen konzentriert. Zur Eröffnung taucht die irische Performerin und Komponistin Jennifer Walshe mit zwei verwandten Klangtüftler-Künstlerseelen die Kirche Rümlingen in ihre Sound-Collagen. Zum Schluss ist es die Niklausstube in Oltingen, die mit wohl dort noch nie erzeugten Klängen von Chris Swithinbank und Clara Iannotta geflutet wird, während der/die Lichtkünstler:in Eva G. Alonso das Holzgewölbe der ehemaligen Scheune optisch in Beschlag nimmt.

Klangwandern darf man diesmal zwei Stunden von Kilchberg nach Oltingen und wird dabei von Ausschnitten aus Peter Ablingers Zyklus «weiss/weisslich», gesungen, gespielt und aufgeführt von lokalen Künstlern begleitet. Und wie so oft in Rümlingen muss man einfach dabei sein, um zu erfahren wie etwas, das man sich kaum vorstellen kann, dann wirklich rauskommt. Zum Beispiel, was sich hinter der Soundperformance «Experimental Turntabelism» in der Kirche von Kilchberg verbirgt, wie «Fuse-Pieces» von Ricardo Eizirik klingen, die nur so lange dauern, wie eine Zündschnur brennt, oder wie sich das elektronische Sägemehl anhört, das Marie Delprat, Noémi Büchi und Nicolas Buzzi in der Schreinerei Leuthardt fabrzizieren. Und wer kann sich schon ausmalen, was passiert, wenn sich in der inszenierten Klang-Installation von Alexander Chernyshkov und dem Kollektiv «Hauen und Stechen» neben Geige, Sopran und Saxophon auch ein Alphorn, eine Basler Trommel und eine Tierherde im Tunnel von Buckten tummeln?

Reinmar Wagner

Festival Rümlingen 2022. 27./28. August. Rümlingen, Oltingen, Kilchberg. Die Anlässe sind auf die ÖV-Fahrpläne abgestimmt. Parkplätze beschränkt, Verpflegungsmöglichkeiten. Tickets: kulturticket.ch

http://www.neue-musik-ruemlingen.ch

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