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Ein Speer ist ein Speer und ein Drache ist ein Drache

Es ist das grosse Abschieds-Projekt von Andreas Homoki als Intendant des Zürcher Opernhauses: Zusammen mit dem neuen Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda bringt er Wagners «Ring des Nibelungen» auf die Bühne. Das «Rheingold» zeigt nun, wie das wird: Man muss nicht unbedingt die Welt erklären mit Wagners «Ring», man kann auch einfach die Geschichte erzählen.

Loge, der Aussenseiter in der Götterwelt © Monika Rittershaus

Ein Speer ist ein Speer, ein Ring ist ein Ring, Gold ist Gold und der Drache ist ein Drache: Andreas Homoki und sein Ausstatter Christian Schmidt erzählten das «Rheingold», den Auftakt zu Wagners Tetralogie, ohne deutenden Überau und intellektuelle Interpretationsbemühungen. Theater ist Theater, und weil Homoki es damit sehr genau nimmt und mit seinen Figuren detailliert arbeitet, funktioniert das auch bestens.

Gewisse Grenzen gibt es gleichwohl: Den Auftakt unter Wasser auf dem Grund des Rheins zu spielen, wäre eine nicht so leicht umsetzbare Absicht, und so finden wir uns gleich zu Beginn in den grosszügigen Räumen einer Villa, wie sie Wagner selbst bewohnt haben könnte, vielleicht sogar nachempfunden den Räumen am Zeltweg oder dem «Asyl» der Villa Wesendonck, in denen Wagner in den 1850er-Jahren in Zürich wohnte und den «Ring» konzipierte, dichtete und bis ins zweite Drittel «Siegfried» auch komponierte.

Die Rheintöchter © Monika Rittershaus

Während die Drehbühne munter rotiert spielen die Rheintöchter – bürgerliche Schwestern oder Zöglinge eines gehobeneren Internats – in ihren Betten mit Decken und Kissen, necken und quälen den garstigen Kerl, der lüstern ihr Spiel verfolgt. Wotan trägt einen Morgenrock in Samt und Seide, so wie ihn der Stoff-Fetischist Wagner selbst geliebt hat, Fricka erscheint als Minna, die Noch-Ehefrau jener Jahre, Froh und Donner als grossmäulige aber geistig eher minderbemittelte Brüder, und die Riesen sind mit ihren gefederten Hüten als alpine Eingeborene gezeichnet.

Nur Loge gehört nicht so richtig zu ihnen: Zwar fällt er nicht aus der Zeit, aber aus der Gesellschaft. Er hat die Garderobe und die Attitüde eines Bohémiens, und als einziger hat er nicht den geringsten Respekt vor Wotan und seinem Speer, den er zwischendurch wie ein Gepäckstück hinter Wotan herschleppt, ja er ist sogar völlig immun gegen die Versuchung des Rings, dem Wotan vom ersten Moment an erliegt und nur durch Erdas Mahnung und Warnung schliesslich von ihm lassen kann. Homoki schildert das alles sehr genau und mit Liebe zum Detail, zudem mit einer guten Portion Humor, die man diesem Stück sonst eher nicht zutraut.

Alberich und Mime © Monika Rittershaus

Auch Gianandrea Noseda nimmt das Stück erst einmal einfach wirklich wörtlich. Auch er erzählt, und zwar mit ähnlich viel Sorgfalt in den Details wie Homoki. Seine Tempi sind enorm flexibel, die Dynamik wechselt praktisch in jedem Takt, die Spannweite zwischen Laut und Leise ist weit und wird gekonnt eingesetzt, um dramatische Momente zu grundieren, aber auch die Sänger nie zu übertönen. Deutlich hörbar wird die dezidierte Absicht, keine von Wagners so überaus vielen instrumentalen Linien zu verschenken oder untergehen zu lassen. Durchsichtigkeit ist Prinzip, aber auch die ungebrochene theatrale Geste darf nach Herzenslust ausgekostet werden. Manchmal ist das fast Filmmusik, ohne dass man es als platt oder banal empfinden würde, im Gegenteil: Sehr oft reagieren die Figuren auf der Bühne nicht nur auf das, was gerade gesagt wird, sondern auch darauf, was die Musik gerade erzählt.

Wotan und der Ring © Monika Rittershaus

Die Sängerkrone holte sich unzweifelhaft der deutsche Tenor Matthias Klink als Loge: Quirlig, agil, so wie es seiner Figur entspricht, mit zahlreichen Zwischentönen in der Stimme, die sehr gerne sehr ironisch klingen kann, selbst dort, wo wohl Wagner selbst nicht die geringste Ironie empfunden haben dürfte. Stimmlich ebenfalls eine starke Leistung zeigte Christopher Purves als sehr vielfältig artikulierender Alberich. Allerdings sollte er vielleicht den Text noch einmal gründlich memorieren: mit sinn-entstellenden Wortverdrehungen hat er deutlich über Gebühr an Wagners Schöpfung gesündigt. Tomasz Konieczny war sehr besorgt um eine angenehm differenzierte Gestaltung des Wotan, und auch in den kleineren Rollen überzeugte das Ensemble überwiegend.

Reinmar Wagner

Wagner: «Rheingold». Premiere: 30. April 2022, besuchte Vorstellung: 3. Mai 2022. ML: Gianandrea Noseda, R: Andreas Homoki, mit Tomasz Koniecny, Christopher Purves, Matthias Klink, Jordan Shanahan, Omer Kobiljak, Patricia Bardon, Kiandra Howarth, Anna Danik, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, David Soar, Oleg Davydov, Uliana Alexyuk, Niamh O’Sullivan, Siena Licht Miller.

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