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Königin der Koloratur – zum Tod von Edita Gruberova

Diese Todesnachricht kam unerwartet. Und sie macht uns klar, was wir mit Edita Gruberova verloren haben. Zwar hatte sich die grosse Sopranistin 2019 von der Bühne und ein Jahr später auch definitiv vom Konzertpodium zurückgezogen. Mitte Oktober ist sie in Zürich gestorben, mit 74 Jahren.

Sass man im Publikum, wenn Edita Gruberova sang, dann konnte man sich entspannt zurücklehnen: Keine mitfiebernde Bange um nur halb gelungene Töne, um verpatzte Höhen oder andere, vielleicht der Tagesform geschuldete kleine sängerischen Unebenheiten. Wenn Edita Gruberova auf der Bühne stand, dann setzte sie stets allerhöchste Ansprüche an sich selbst, und sie erfüllte diese auf eine fast schon mirakulöse Weise. Zuweilen erschien es uns wie ein Wunder, dass man überhaupt derart perfekt singen und gestalten kann. Wer sie in einer ihrer Paraderollen erlebt hat, als Lucia oder Zerbinetta, als Elisabetta in «Roberto Devereux» oder als Lucrezia Borgia, als Amina in Bellinis «Sonnambula» oder als Violetta in Verdis «La Traviata», der kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Fast übermenschlich wirkte die makellose Intensität dieses beseelten Gesanges und erreichte als Kunst Regionen, die sonst den allermeisten verschlossen bleiben.

Und das, wohlverstanden, in einem Repertoire, das sich nicht gleichsam mit links aneignen und bewältigen lässt. «Königin der Koloratur» nannte man Edita Gruberova zu Recht: Die Leichtigkeit, mit der sie scheinbar endlose Trillerketten virtuos aneinanderreihte und ihre «geläufige Gurgel» über Oktaven hinauf und hinunter brillant in Szene setzte, verblüffte in jeder Vorstellung aufs Neue. Edita Gruberova war ein singuläres vokales Ereignis. Atemberaubende Koloraturkaskaden, wie aus dem Nichts angesetzte, hauchzart schwebende Pianissimi in jeder Höhenlage, stratosphärische Spitzentöne und ein vorbildliches, oft schier endloses Belcanto-Legato gehörten zu den hinreissenden vokalen Tugenden dieser Sängerin, und selbst nach über 40 Jahren Sängerinnenkarriere verfügte sie nach wie vor vorbehaltlos über alle diese gesangsgestalterischen Mittel. Hinzu kam eine künstlerische Intelligenz, die beim Zuhören das reine Singen zuweilen fast vergessen machte – so spannend war ihre musikalische Gestaltung, so «sprechend» wirkten ihre wortimmanent ausgeformten Rezitative.

Damit hat Edita Gruberova einsame Massstäbe an vokaler Perfektion, aber auch an darstellerischer Intensität gesetzt, in Wien und München, in New York, Paris und Mailand, in London und Berlin. Als sie mit ihrer Familie schliesslich nach Zollikon am Zürichsee zog, wurde die Zürcher Oper neben der Wiener Staatsoper zu ihrem Stammhaus. Ihren Einstand hatte sie hier bereits 1978 als Zerbinetta gegeben, und bis zum Ende ihrer Karriere stand sie in 17 verschiedenen Rollen rund 200 Mal auf der Zürcher Bühne. Hier konnten sie ihre Fans nicht nur als Belcanto-Tragödin, sondern auch in komischen Partien erleben, als Donizettis Regimentstochter oder als Rosina in Rossinis «Barbiere». Rollen, die ihrem Bühnennaturell ebenfalls im Blut lagen und die sie oft mit quietschvergnügter, ansteckender Spielfreude ausstattete.

Das Geheimnis, das hinter so viel Gesangskunst steckte: Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Singen war für Edita Gruberova, wie sie selber sagte, stets «der Ernstfall». Denselben heiligen Ernst forderte sie aber auch von ihren Kolleginnen und Kollegen, den Regisseuren und Dirigenten, was dann und wann zu ernsthaften Friktionen führen konnte. Denn nichts war ihr so verhasst wie Unprofessionalität. Dazu gehörte die immer mehr überhandnehmende Playback-Gewohnheit bei Schallplatteneinspielungen: dass Tenor und Sopran sich für ihre Duette nie gemeinsam im Studio vor den Mikrofonen trafen. Wie sollten so Team-Leistungen auf höchstem künstlerische Niveau entstehen?

Denn die himmelstürmenden Erfolge, sie waren ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Oder anders gesagt: Das ungeteilte Glück, mit dem sie ihre Fans und Bewunderer immer wieder durch ihren Gesang beglückte und verwöhnte, war ihr selbst nicht immer so hold. Nicht in ihrer Jugend in Bratislava, nicht in ihren ersten Jahren an der Wiener Staatsoper. Hier debütierte sie 1970 als Königin der Nacht, doch der Sensationserfolg blieb aus, liess noch ganze sechs Jahre auf sich warten. Dann, im November 1976, schliesslich der grosse Durchbruch: Zerbinetta in einer Neuinszenierung der «Ariadne», Karl Böhm dirigierte. «Zerbinetta war das Ereignis des Abends», titelte der Wiener «Kurier». «Ihre hinreissende Phrasierung, ihr sublimer Stimmklang, ihr brillantes Koloratur-Feuerwerk, das sie mit ebenso witziger wie lässiger Nonchalance servierte, brachten ihr schier endlose Ovationen.» Damit war alles gesagt und der Sprung zur absoluten Weltspitze gelungen.

Edita Gruberova hielt sich auf dieser einsamen Höhe bis 2019, als sie an der Bayerischen Staatsoper ihren Bühnenabschied nahm. Noch einmal «Roberto Devereux». Ein denkwürdiger Abend mit Ovationen, die fast eine Stunde dauerten und während denen es rote Rosenblüten auf die Sängerin herab regnete. «Es war wunderbar, und es war genug» kommentierte sie ebenso ergriffen wie lakonisch diesen letzten Abgang von einer Opernbühne.

Werner Pfister

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