Paavo Järvi weiht mit Mahler die renovierte Tonhalle ein 
© Gaetan Bally / Tonhalle-Orchester Zürich

Endlich wieder Musik! Vier Jahre lang wurde das Zürcher Konzertsaal-Schmuckstück, die Tonhalle renoviert. Optisch konnte man sie in neuem – dezent und geschmackvoll erneuertem – Erscheinungsbild schon bewundern (siehe M&T 9-10.2021). Am Mittwoch aber wurde sie nun auch akustisch in Besitz genommen, vom am meisten legitimierten Besitzer, dem Tonhalle-Orchester unter seinem Chefdirigenten Paavo Järvi.

Nein, nicht Beethoven 9, das wäre zu einfach. Järvi und die Intendantin Ilona Schmiel entschieden sich zur Eröffnung für eine Sinfonie, die nicht nur die akustischen Möglichkeiten des renovierten Saals aufzeigen kann, sondern auch den aktuellen Zustand des Orchesters zu widerspiegeln in der Lage ist: Mahlers dritte Sinfonie, ein Monument von eineinhalb Stunden Dauer, mit dem Luxus eines Frauen- und Knaben-Chors (Zürcher Sing-Akademie und Sängerknaben, beide tadellos), mit einer Altistin als Solistin (Wiebke Lehmkuhl, mit profunder Tiefe und viel ruhiger Ernsthaftigkeit), vor allem aber mit Herausforderungen auf Schritt und Tritt für die exponierten ersten (und nicht selten auch die weiteren) Pulte der Holz- und Blechbläser. Nicht geringere Herausforderungen haben die Paukisten und Perkussionisten und neben der Sologeige auch die Streicher als Ganzes zu bewältigen.

Ein Werk, das nur schlüssig gelingen kann, wenn der Dirigent eine klare Vorstellung von diesem sechs-sätzigen Welten-Entwurf mitbringt. Und damit konnte Paavo Järvi tatsächlich bravourös auftrumpfen. Trumpf-Buur war die Dynamik, sein Nell die Agogik, das Trumpf-As die bewundernswert hohen und auch in schwierigen Lagen enorm zuverlässigen Solisten und Solistinnen in diesem Orchester. Sie war durchaus laut, diese Dritte von Mahler, aber nur – und nur dann – wenn das auch Sinn machte. Und – um es deutlich festzuhalten – die Akustik des Tonhalle-Saals hatte keine Mühe auch ein Fortissimo von 162 Mitwirkenden ohne jegliche klangliche Verfälschungen wiederzugeben.

Aber vor allem war sie leise, diese Mahler-Sinfonie von Paavo Järvi. Schon die einsamen Signale von Posaunen und Trompeten zu Beginn verklingen deutlich früher als man das gewohnt ist. Wenn die Streicher gerade nicht so wichtig sind, dann spielen sie auch so, egal, ob anderswo im Orchester gerade eine der vielen unterschiedlichen Melodielinien, mit denen Mahler so gerne seine sinfonischen Collagen gestaltet, für emotionale Emphase sorgt. Järvi dirigiert keine Tutti-Dynamik, jedes Register hat unter seinen Händen seine eigene Lautstärke-Agenda, die er auch mal unaufgeregt dezent einfordert. Das ist wach und klar, das hat System, und Järvi hat die Musiker auf seiner Seite – nicht nur die Mehrheit, sondern alle bis auf den letzten Platz der 15 ersten Geigen oder acht Kontrabässe.

Entscheidend auch, dass jeder emotionale Ausbruch, der sein darf, der ausgekostet werden soll, jedoch genauso konsequent sein Decrescendo erhält. Und es muss auch nicht immer ins Forte gehen: Wunderschön intensiv zum Beispiel, wie Järvi mit den Streichern den Anfang des Finales gestaltete und dabei die ganzen Schattierungen der Piano-Regionen auskundschaftet, bevor, ganz spät auch mal etwas Mezzo hinein kommen darf. Und gleich hält es Järvi mit der Agogik: Immer Bewegung, aber keine Extreme. Die Walzer-Anklänge, die Mahler so gerne in seine Sinfonien einbaute, wirken gemütlich, aber haben den Schwung ihrer tänzerischen Vorbilder noch nicht verloren. Und ja: man hat den Eindruck, dass dieses Orchester nicht nur auf höchstem Niveau eine solche Partitur bis in die exponiertesten Solostellen hinein bewältigen kann, man spürte förmlich auch die Lust, wieder in diesem Saal spielen zu können. Standing Ovation – Verdient!

Reinmar Wagner

Das Konzert wurde in Bild und Ton mitgeschnitten und wird am 25.9. um 20.15 Uhr auf 3Sat und am 26.9. um 20.30 Uhr auf Mezzo gesendet. SRF produzierte zudem einen dokumentarischen Film «Zurück in die Tonhalle» von Barbara Seiler, der am 19. September ab 11.55 mit Ausschnitten aus dem Eröffnungskonzert gezeigt wird (Wiederholungen auf 3Sat 25.9., 21.50 Uhr)

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