Die Narren sind los – das Lucerne Festival 2021 ist eröffnet

«Verrückt» heisst das Luzerner Motto in diesen tatsächlich verrückten Zeiten. Was das heisst, bekam zur Eröffnung gleich schon Monteverdis Fanfare zu spüren, die er seinem Dienstherrn, dem Herzog Vincenzo Gonzaga von Mantua widmete und die er auch als Eröffnung für seine «Orfeo»-Oper verwendete. Trommeln und Blechbläser des Lucerne Festival Orchestra unter Reinhold Friedrichs Ägide schmetterten sie in den KKL-Saal. Aber nicht für lange, dann übernahm Intendant Michael Haefliger höchstpersönlich per Trillerpfeife das Kommando, worauf ein farbiges Arsenal an allerlei weiteren Spiel- und Lärminstrumenten Monteverdi und die strahlenden Trompeten verbannten und für Fastnachts-Stimmung sorgten.
Eben, die Narren sind los. Aber nur ein bisschen. Die als Dialog konzipierte Eröffnungsansprache von Haefliger und dem Festivalpräsidenten Markus Hongler war zwar originell, aber dann doch wieder recht gesittet, und auch Bundespräsident Parmelin wollte sich in seinem Grusswort nicht allzu sehr über die Verrücktheiten der Politik auslassen. Blieb Riccardo Chailly, der Chefdirigent des Festivalorchesters, aber auch seine Programm-Ideen für dieses Eröffnungskonzert – Mozart und Schubert – glänzten nicht gerade mit Verrücktheiten.
Wobei: Es gibt da in der grossen g-Moll-Sinfonie von Mozart im letzten Satz eine Stelle, die tatsächlich ziemlich verrückt ist: Mit grotesken Pausen durchsetzt wird das handfeste Hauptmotiv kurz aber heftig auseinander gerissen – und ein kleines Tänzchen tut anschliessend so, als sei nichts gewesen. Klar, dass Chailly diesen Moment gebührend auskostete. Und nicht nur diesen: Wie er Mozarts an die Grenzen der damaligen Möglichkeiten gehende Sinfonie und die Sechste von Schubert, ein ambitioniertes Werk des 21jährigen, in den KKL-Saal zauberte, verriet eine sehr gründliche analytische Arbeit und den in jedem Takt spürbaren Willen, diese beiden Sinfonien bis in den Kern ihrer tiefsten musikalischen Anlagen auszuleuchten.
Das konnte etwa im pulsierenden Kopfsatz bei Mozart so weit gehen, dass der musikantische Drive im Dickicht der vielen kleinen Tempo-Nuancen etwas verloren zu gehen drohte oder im weit gespannten Adagio die Details vor dem Gesamt-Gestus des Satzes ein wenig die Überhand gewannen. Aber insgesamt legte Chailly mit den handverlesenen Musikern des Festival-Orchesters eine tiefgründige, dramaturgisch durchdachte und klanglich, dynamisch und agogisch überaus wache und vielseitige Deutung dieser beiden Werke vor.
Insbesondere den Holzbläsern sind viele wichtige solistische Linien anvertraut, und so konnten sie wieder punkten diese Musiker, sie seit Jahren in diesem Orchester immer wieder für musikalische Sternstunden gesorgt hatten: Allen voran Jacques Zoon an der Flöte, für den diese Partituren auf Schritt und Tritt Kabinettstücken bereit hielten, aber auch Lucas Macias Navarro an der Oboe, Matthias Racz am Fagott oder der Hornist Ivo Gass. So richtig «verrückt» war das alles natürlich nicht, sondern auf höchstem Niveau gelungen – sozusagen normal also.
Fast schon normal ist auch das Programm des Lucerne Festival 2021: Die ganz grossen Besetzungen werden diesmal zwar noch vermieden, aber in den kommenden Wochen geben sich die grossen Weltklasse-Orchester aus Berlin, Wien oder Amsterdam unter ihren Chefdirigenten und herausragende Solisten die Klinke in die Hand. Verrückt bloss, dass daas KKL bloss zur Hälfte gefüllt werden darf.
Musik&Theater hat in seiner Lucerne Festival-Ausgabe nicht nur mit dem Intendanten gesprochen und die Festival-Künstlerin Yuja Wang portraitiert, sondern stellt auch die Blockflötistin Lea Sobbe und den «Schwarzen Mozart» Mozat vor und lässt die Komponistin Iris Szrghy und die Sopranistin Juliane Banse zur Uraufführung von «Offertorium» zu Wort kommen. Nachzulesen in den unten angefügten PDF-Dokumenten.
Reinmar Wagner
Interview mit Michael Haefliger
Iris Szeghy und Juliane Banse über die Uraufführung von «Offertorium»