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Erinnerungen an Krzysztof Penderecki

800px-Krzysztof_Penderecki_20080706Gut zwei Jahrzehnte sind es her: Ende August 1999 weilte ich für zwei Tage in Polen zu einem Besuch bei Krzysztof Penderecki auf dessen Landsitz Luslawice in der Umgebung von Krakau. Viel Zeit für intensive Gespräche, vor allem auf einem Rundgang unter seiner Führung durch seinen einzigartigen, 27 Hektaren grossen Park. 1000 Bäume wuchsen hier, mehrheitlich vom Komponisten selber gepflanzt: Zimtahorne aus China, hängende Fichten aus dem Himalaya, Trompetenbäume und japanische Lärchen, amerikanische Gurkenmagnolien und Sumpfzypressen. Und er, Krzysztof Penderecki, war für mich spätestens seit seiner «Lukas-Passion» von 1966 ein besonders gewaltiger Baum in der musikalischen Landschaft. Sein singulärer Rang war bereits damals unbestritten, obwohl seine Musik nie unumstritten war: einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten. Experimentierfreudig führte er einst die tonangebende Avantgarde an, schlug dann in den 1960er Jahren überraschend neue Wege ein, indem er sich an Gregorianik und Dodekaphonie, an post-wagnerischer Chromatik und neuromantisch expressiver Melodik orientierte. Was die Avantgarde prompt als Verrat geisselte.

«Nicht ich habe damals die Avantgarde verraten. Im Gegenteil: Die Avantgarde hat Verrat an der Musik begangen. Avantgarde – das war einmal. Was nachher kam, war bereits Epigonentum.» Übrigens sei er immer ein Einzelgänger gewesen, und er war nur ein einziges Mal bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt, dem Mekka der Neuen Musik. Zwar wollte er bereits in den 1950er Jahren dorthin fahren, aber er bekam keinen Reisepass fürs westliche Ausland. «Als ich 1962 schliesslich doch einen Pass bekam, war es für mich nicht mehr interessant. Die Avantgarde war bereits passé. Viele Kollegen von mir blieben ihr dennoch treu, haben zwanzig oder dreissig Jahre lang dieselbe Musik geschrieben. Das war nichts für mich. Denken Sie an Strawinsky – er hätte doch problemlos noch fünfzig weitere Ballettmusiken schreiben können. Aber er wollte nicht! Man kann nicht ein Leben lang die gleiche Musik schreiben. Für wen denn auch?» Überhaupt hat Penderecki nie irgendeiner zeitgeistigen Mode gefrönt: «Man komponiert nicht für den Augenblick. Deshalb mache ich auch nicht, was Mode ist. Sondern ich schreibe die Musik, an die ich glaube. Und ich glaube an meine Musik.»

Ein weiteres Credo: «Musik ohne Struktur ist Improvisation.» War das ein Bekenntnis zur festgefügten Form? Gar zur Tradition? «Wenn man beispielsweise ein Violinkonzert schreibt» – was er mit grossem Erfolg für Anne-Sophie Mutter tat – «kann man Prokofieff ganz einfach nicht übersehen. Sein erstes Violinkonzert ist ein Meilenstein in der Musik des 20. Jahrhunderts.» Neben Prokofieff nannte er auch andere «Hausgötter» ‒ Bartók, Schostakowitsch und Messiaen. Aber Penderecki war nie ein willfähriger Nachahmer. Auch nicht in der Art und Weise des Komponierens. «Ich komponiere nicht, indem ich Akkorde schreibe oder sie gar am Klavier zusammensuche. Akkorde entstehen durch das Liniengefüge.» Als wollte er es beweisen, ging er kurz ins Haus zurück und kehrte mit einem Notenpapier zurück. Einer einzigen Seite – und darauf stand skizziert in nuce ein ganzes Werk. Nein, er komponiere nie von einem Anfang zu einem Schluss, also schön der Reihe nach. «Zuerst suche ich die Form, beginne irgendwo in der Mitte und gehe dann weiter nach links und nach rechts. So entsteht die Form, so füllt sich die Form. Das kann sehr lange dauern, weil ich von jeder einzelnen Instrumentalstimme verschiedene Versionen mache, bis ich erreiche, was ich mir vorgestellt habe.» Hilfreich bei diesem Prozess sei es, wenn er für eine bestimmte Künstlerpersönlichkeit schreibe. Der Name Rostropowitsch fällt. «Wenn ich für ihn ein Cellolkonzert komponiere, dann fühle ich mich wie ein Opernkomponist, der einer Sängerin schöne Arien auf den Leib schreibt.»

Pendereckis Musik ist ungemein vielfältig, tauchte gar in Filmen von Stanley Kubrick und Andrzej Wajda auf. Und diese Vielfalt verstörte viele, auch heute noch. Wie soll man seine Musik, wie soll man sein Œuvre, das so viele Brüche kennt, verstehen? «Ein Komponist weiss davon am wenigsten. Es gibt darauf keine richtige Antwort – Gott sei Dank.» Und nach einer langen Pause: «Musik verstehen braucht ganz sicher Zeit.» Als Beispiel nennt er Anton Bruckner: Lange habe es gedauert, bis man dessen Sinfonien verstand. Eine letzte Frage, eine politisch brisante: Kann Musik überhaupt einen politischen Einfluss ausüben? «Musik kann die Welt nicht verändern. Aber sie kann helfen.» Genau das machte man Penderecki zum Vorwurf: dass er Musik schreibe, die ein breites Publikum mag, die einem breiten Publikum innerlich aufhilft. «Ich schreibe nicht fürs Publikum. Aber ich bin glücklich, dass meine Musik Publikum findet.»

Am 29. März 2020 ist Krzysztof Penderecki im Alter von 86 Jahren in Krakau gestorben.

Werner Pfister

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