Grazie Maestro – Nello Santi gestorben

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Vor einem Jahr war Nello Santi noch einmal am Opernhaus Zürich mit einer Serie von Donizettis «Lucia di Lammermoor» zu erleben, einem seiner Herzensstücke. Alle Mühe kostete es ihn, bis er seinen Stuhl im Orchestergraben erreichte, auch seine Dirigierbewegungen waren weniger energiegeladen und feurig als einst – und doch stellte sich von den ersten dunklen Takten des Vorspiels jene Spannung, jene Stimmung ein, welche die Aufführungen unter Santis Leitung weit über ein halbes Jahrhundert geprägt hatten. Noch einmal wurde der greise Maestro von seinem Publikum gefeiert – wie er gerade an diesem Haus immer bejubelt worden war. Als gewichtiger Vertreter jener grossen italienischen Tradition des «Maestro concertatore», der musikalische Werkbezogenheit stets oberstes Gebot bedeutete. Was bei Santi jedoch nie in blutleere, gar akademische Taktschlägerei mündete. Nein, er verkörperte italienisches Temperament sprichwörtlich. Und wurde damit zur Legende. Nicht nur in Zürich, seinem Stammhaus über viele Jahrzehnte, sondern von der Met bis zu legendären Opernnächten in Verona. Und die Sängerinnen und Sänger liebten ihn. Wie er sie liebte und ihnen Abend für Abend, Probe für Probe ein treuer, verlässlicher und hilfreicher Partner, ja Freund war – von Carlo Bergonzi bis Maria Chiara, von Renata Tebaldi bis Placido Domingo. Nello Santi lebte die Oper und liess das Publikum an seiner Leidenschaft für das Theater teilhaben. Wie viele legendäre Vorstellungen unter seiner Leitung haben wir nie vergessen! Und werden wir nie vergessen. Alle jene Abende voll lodernder Leidenschaft, als uns Oper alles andere in der Welt für ein paar Stunden vergessen liess. Und wir restlos glücklich waren. Deshalb verblasst die Erinnerung nicht. Und deshalb bleibt auch Nello Santi unvergessen.  

Andrea Meuli

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